Haydns Jahreszeiten: Ein Erlebnis in voller Bandbreite
Nach vielen Jahren Mitgliedschaft in einem 150-stimmigen Chor in den USA, wo ich lange Zeit wohnte, suchte ich mir anfangs 2024 den größten Chor der Region mit Schwergewicht auf klassischer Musik und landete in der Schola. Mir begegneten aufgeschlossene, fröhliche Mitsänger:innen und ein enthusiastischer Chorleiter.
Beim Einüben der Jahreszeiten von Haydn kam dann sowohl Chorleiter Stefan Müllers Freude an seiner Arbeit als auch sein offenbar unerschöpflicher Optimismus zum Ausdruck. Schwierige Passagen, welche anderen Dirigenten vielleicht zu frustrierten Äußerungen gegenüber dem Chor verleitet hätten, nannte Müller durchs Band «schon fast gut», strahlte uns an und gab damit auch weniger versierten Chormitgliedern das Gefühl, dem Werk gewachsen zu sein.
Die Hauptprobe zeigte, dass diese Art, einen Chor zu leiten, auch unter Druck nicht verloren geht: Die um einen Ton disharmonierenden Einsätze von Chor und Organisten beim Stück «Sie scheint» warfen Müller nur einen einzigen Augenblick aus der Fassung, bis eine Lösung für die Transponierung überlegt und die Probe mit gewohnt enthusiastischer Stimmung fortgesetzt wurde.
Die beiden Konzerte in der Stadtkirche Baden und der Kirche St. Anton in Wettingen brachten dann die ganze Bandbreite sowohl des Werks als auch der Schola und ihres Leiters zum Ausdruck. Da gab es romantischen Frühlingszauber, dramatische Sommergewitter, fröhliche Herbstgesänge und leises Winterklagen, das in ehrfürchtiger Anbetung mündet – und das alles in einem Werk, das von Stefan Müller in derselben Breite und Tiefe von Empfindungen dirigiert wurde. Leidenschaft, Freude, Feingefühl und Ehrfurcht übertrugen sich von ihm ins Orchester, in den Chor und ins Publikum und zauberten ein unvergessliches Erlebnis für alle Anwesenden.
September 2024, Judith Forgoston, Alt 2