Dieser Beitrag wurde anlässlich des 70-jährigen Jubiläums in der Schola-Zeitung vom Mai 2019 veröffentlicht.


70 Jahre Schola Cantorum Wettingensis

Von der Geburtsstunde bis in die Gegenwart

70 Jahre Schola Cantorum Wettingensis – wir befinden uns auf den Spuren der Vergangenheit und ergründen ihre Geschichte und den Werdegang bis in die heutige Zeit. Bei der Spurensuche helfen uns 3 Persönlichkeiten, die von früh an die Schola mitbegleitet, mitgeformt und miterlebt haben:

Christian Diserens
1. Präsident (1971), Ressort Werbung, 40 Jahre Mitglied bis 2012

Vroni Schibli
Choreintritt 1956 – Absenzenkontrolle, Vorverkauf, Vorstands- und Chormitglied bis 2003

Leo Summermatter
Chormitglied seit 1968, Technische Leitung, 8 Jahre im Vorstand und 32 Jahre Chormitglied. 

Als Quelle dient uns auch der Artikel «50 Jahre Schola Cantorum Wettingensis» von Natalie Strässle, ehemalige langjährige Sängerin und Vorstandmitglied.

Folgende Eckdaten sind dabei besonders hervorzuheben:

Vor 1949 – Dr. Oskar Spörri, Arzt und Musiker aus Wettingen, begleitet mit einer Gruppe von Seminaristen regelmässig den sonntäglichen Gottesdienst im Kloster Stella Maris musikalisch mit Choralwerken und 4-stimmigen Werken. Mit der Zeit kommen auch vermehrt Frauen dazu.

1949 – In Anlehnung an den Namen der früheren Zisterzienserabtei gibt sich der Chor den Namen Schola Cantorum Maris Stella Wettingen. Dies bedeutet die Geburtsstunde der heutigen Schola.

1955 – Die musikalische Gestaltung der Gottesdienste in der Klosterkirche wird einem zweiten Musiklehrer übertragen. Versuche, die Schola in den Seminarchor zu integrieren, schlugen fehl. Die Einladung zu einem Konzert im Verenamünster Zurzach führte zu einem grossen Erfolg. Es folgten weitere Einladungen zu Konzerten in der Region und im süddeutschen Raum. 1959 wird die Schola nach Salzburg eingeladen und konzertiert dort im Rahmen der Salzburger Hochschulwochen. Die Schola war gelegentlich auch am Radio zu hören und es wurde sogar eine Schallplatte aufgenommen. Aufgeführt wurden vor allem Chorwerke von Mozart und Joseph Haydn. Seit der Loslösung von der ursprünglichen Aufgabe in der Klosterkirche ist der Chor konfessionell und politisch neutral. Oskar Spörris höchstes Ziel war «die sängerisch gepflegteste Aufführung der einstudierten Werke in der Weise, dass unsere Freude die Freude aller werde, der schlicht und einfach Hinhorchenden wie der Verwöhnten und hohe Ansprüche Stellenden.»

1965 – Tod von Oskar Spörri – Ein schwerer Schlag für die Schola. Sein Sohn Hubert übernimmt die Leitung der Schola und führt in einem Gedenkkonzert zu Ehren seines Vaters das ´Requiem´ von Mozart auf. Die Schola konzertiert dabei zum ersten Mal gemeinsam mit dem Stadtorchester Winterthur. Ende 1970 können sich die Chormitglieder und Hubert Spörri nicht über die weitere Zukunft der Schola einigen. Der Chor sucht einen neuen Dirigenten.

1971 – Alois Koch ‒  Wahl zum neuen musikalischen Leiter. Sein Ziel: gründliche Auseinandersetzung mit Werken von Mozart und Joseph Haydn, Schulung und Pflege kultivierten Gesangs. Im Rahmen seiner Masterarbeit wird in Rheinach die D-Dur Messe von Dvořák aufgeführt. Vereinsgründung mit Statuten und Umbenennung des Chores zu «Schola Cantorum Wettingensis». Die Schola erreicht einen hohen Bekanntheitsgrad und festigt den guten Ruf als ausgewiesenen Konzertchor. Regelmässige Zusammenarbeit u.a. mit dem Collegium Musicum Luzern, dem Stadtorchester Winterthur und namhaften Solisten.

1991 – Berufung Kochs zum Domkapellmeister der St. Hedwigskathedrale in Berlin; Konstantin Keiser, ehemaliger Schüler Kochs, wird neuer musikalischer Leiter. Der Chor wird dynamischer, und die Mitgliederzahl wächst vorübergehend auf über 100 SängerInnen. Ein wichtiger Schwerpunkt bei den Aufführungen bilden Werke aus der Romantik. Ausstrahlung der Konzertaufnahme von Paul Hubers «Hymnus Corpus Christi Mysticum» durch DRS 2, Konzerte in der Tonhalle Zürich mit den Jahreszeiten von Joseph Haydn (1999)  und dem Stabat Mater von Gioacchino Rossini (2001).

2010 – Roland Fitzlaff wird neuer musikalischer Leiter. Dieser legt grossen Wert auf Präzision und feine Ausarbeitung des Chorklangs. Mit Aufführungen grösserer Werke wie die «Messa di Gloria» von G. Puccini, «Elias»  und «Paulus»  von F. Mendelssohn, aber auch die Mitgestaltung von «babel torre viva» im Rahmen von tanz&kunst königsfelden 2013, sowie diverse Aufführungen mit Klavierbegleitung oder a cappella-Auftritte, konnte der Chor seine neue Stimmqualität unter Beweis stellen. Eine Konzertreihe im Telemann-Jahr 2017 in Zusammenarbeit mit der Telemann-Gesellschaft Schweiz mit fünf Konzerten u.a. in Zürich, Solothurn und Basel war einer der Höhepunkte.

2018 – Gemeinsames Konzert mit niederländischem Chor WGK Vivace. Konzerte mit Werken von Paul Huber zu Ehren seines 100. Geburtstagstags. Rücktritt Roland Fitzlaffs aus gesundheitlichen Gründen. Stefan Müller übernimmt die Chorleitung ad interim. Erstes erfolgreiches Konzert «O du mein holder Abendstern» mit Werken der Romantiker Moritz Hauptmann, Felix Mendelsohn und Richard Wagner.

2019 – Wahl von Stefan Müller zum neuen musikalischen Leiter; 70-jähriges Jubiläum der Schola Cantorum Wettingensis.

Im Gespräch erhielten wir Antworten auf spezifische Fragen:

Wie gross war der Chor zu Zeiten der Gründung 1949?
Vroni S.: Es waren ca. 50 Sänger und Sängerinnen, aber schon damals mehr Frauen als Männer.

Weshalb war der Chor teilweise elitär aufgestellt?
Die musikalischen Leiter waren meistens Akademiker, mit wissenschaftlichem Hintergrund. Diese hatten einen gewissen Anspruch an Chorklang und Klangqualität.


Wie war der Chorleiter-Wechsel von Spörri zu Koch vom Chor empfunden worden?
Vroni S.: Hubert Spörri war noch zu jung und hatte keinerlei Erfahrung mit Chorarbeit. Alois Koch war hingegen zur gegebenen Zeit mitten in Chorleiterstudien im Konservatorium. Ich sprach ihn damals bei der Zusammenarbeit mit dem Chor Oberengstringen an, ob er Interesse an der Chorleitung der Schola hätte, und er stimmte als neuer musikalischer Leiter der Schola in einem wichtigen Moment seiner Karriere zu, da es seiner Abschlussprüfung zur Dokumentation seiner Arbeit mit Laienchor und Orchester zugute kam.

Was für ein Mensch war Alois Koch?
Christian D.: Er hatte eine sehr spezielle Aura und eine grosse Tragweite. Er war sattelfest als studierter Akademiker, wurde sehr geschätzt und hatte ein grosses Netzwerk unter Musikern mit gutem Dialog zu anderen Orchestern, Solisten sowie einen regen Kontakt mit Winterthur, Kirchenchor Luzern sowie durch sein Studium am Kollegium Luzern. Koch verstand es, die Solisten ´zu hofieren´ und er war ein Garant für hohes Gesangsniveau. Die Chorqualität der Schola passte sehr gut zu der Maxime Kochs.

Weshalb erhielt die Schola einen neuen Namen?
Leo S.: Alois Koch empfang den alten Namen latinisch nicht korrekt. Daher wurde aufgrund seines Vorschlags der Chor auf „Schola Cantorum Wettingensis“ umbenannt. In Zusammenarbeit mit einem Grafiker der Firma ´Maler Wind´ wurde ein Schriftzug sowie ein spezielles Vereinslogo, das die Symbole Maria Meerstern beinhaltet hatte, erstellt. Dieses hat man für alle Prospekte wie Werkverzeichnis, Konzertchronik, Programme und als Briefkopf eingesetzt. Das Logo erwies sich aber im nachhinein als drucktechnisches Problem und wurde von Christian D. in ein einfacheres Logo umgestaltet, das bis zur heutigen Zeit existiert (beide Darstellungen ohne oberen Schola-Schriftzug).

Gibt es Aufnahmen von Konzerten auf Schallplatte?
Vroni S.: Ich habe noch eine Schallplatte mit Motetten, z.B. Ave verum.

Leo S.: Kassetten gibt es auch, die man eventuell digitalisieren könnte. Es sind aber keine Profi-Aufnahmen. Der Aufwand, alle diese Aufnahmen zu erstellen, war immens und darf nicht unterschätzt werden. Der Schola-Chor stand komplett dahinter.

1971 wurde der erste Vorstand berufen. Mit welchen Personen wurde er besetzt?
Vroni S.: Christian D. wurde als 1. Präsident gewählt. Hermann Besel als Aktuar, Wilhelm Hans Beisitzer, Leo Wyrsch als Kassier, und ich selbst für Vorverkauf etc. Leo Summermatter war zu dem Zeitpunkt noch nicht im Vorstand, aber schon zuständig für die technische Leitung.

Wie empfand die Schola den Wechsel von Alois Koch zu Konstantin Keiser?
Christian D.: Nach strengem Regime Alois Kochs war Konstantin Keiser ein sehr einfühlsamer Mensch, immer bester Laune und trotzdem ein guter Leiter. Er verstand es, lustige Sprüche loszulassen, die jeweils in Verbindung mit der Musikthematik stand. Er schaffte den Spagat zu musikalischen Spitzenleistungen durch bilderreichen Wortschatz. Die Schola akzeptierte seine Projekte ohne Widerspruch und mit Vertrauen und liess sich von ihm dadurch zum Erfolg leiten.
Vroni S.: Die Schola hat es akzeptiert. Es war eine Erlösung von der Ungewissheit, als Konstantin Keiser als neuer musikalischer Leiter der Schola kam.

Gab es in der Vergangenheit finanzielle Engpässe?
Vroni S.: Oh ja, Hochs und Tiefs gab es zu genüge. Aber durch den Zusammenhalt und der Solidarität der Chormitglieder untereinander sind wir der Auflösung immer von der Schippe gesprungen. Manche hätten sogar ihren Schmuck verhöckert, um die Schola zu retten.

Gab es damals Versuche, Sponsoren zu finden, um durch ihren Beitrag die finanzielle Schieflage zu besänftigen?
Christian D.: Alois Koch fing an, nach Sponsoren zu suchen (Organisationen). Später kamen auch Stiftungen dazu. Es gab aber auch unter den Mitgliedern etliche, die ihren beruflichen Einfluss geltend machen konnten wie z. Bsp. bei der AKB, die lange Sponsor der Schola war. Die Beiträge der Gemeinde Wettingen und des Kuratoriums von Aargau waren zudem ebenfalls grosse Sponsoren, durch die auch grössere Konzert- Veranstaltungen finanziert werden konnten.

Wie war die Stimmung im Chor selbst auf dem Zenit der Erfolgswelle?
Christian D.: Chormitglieder sind immer sehr bescheiden geblieben, im Vergleich mit den sehr guten Solisten kam man sich manchmal wie ein kleines Mäuschen vor.

Wie empfand man die Probearbeit für schwierige Stücke?
Christian D.: Der Chor war immer gut vorbereitet. Manchmal war es fast zum Verzweifeln wegen den schwierigen Dissonanzen z.B. bei Paul Huber oder Arthur Honegger: Une cantate de Noël, aber irgendwann klang es einheitlich und entwickelte sich zu einem wunderbaren Klangresultat vor dem Konzert.

Was bedeutet für Euch das Singen in der Schola?
Christian D.: Das sind Momente, die ich brauche. Ich habe mein halbes Leben mit Musik verbracht, ich lebe die Musik.

Vroni S: Singen ist für mich eine Genugtuung und zugleich Herausforderung zur Bewältigung der schwierigen Werke. Die Proben dafür waren mir dabei wichtiger als das Konzert selbst.
Leo S.: Singen bedeutet mir alles. Einfach Musik machen. Der Chorklang eines guten gemischten Chors gefällt mir sehr gut.

Was wünscht Ihr der Schola für die Zukunft?
Christian D.: Nach soviel Wechsel wäre ein grosses Werk wie z.B. Mendelssohn Paulus oder einfach etwas aus der Romantik angebracht.
Leo S: Das hauptsächliche Publikum wird älter. Daher wären auch klassische Werke von, Beethoven oder Mozart wieder denkbar, aber auch Bruckner.
Vroni S: Auch das Te Deum von Paul Huber wäre eine Option.

Was wünscht ihr der Schola für die Zukunft?
Alle: Wir hoffen, dass die Schola ihre Register mit guten Sängern & Sängerinnen wieder füllen und die hohe Qualität halten kann, die sie sich erarbeitet hat in den letzten Jahren. Auch wäre es schön, wenn sie wieder etwas bekannter und präsenter in der Region wird, z.B. mit einer Konzertwerbung mit dem legendären Logo.  Für die Schola-Repräsentation gehören Auftritt und Konzert als Einheit zusammen.

Wir bedanken uns für das aufschlussreiche und sehr interessante Gespräch und freuen uns, euch alle bei einem unserer Jubiläumskonzerte im Juni 2019 als Zuhörer begrüssen zu dürfen.

Text und Fotos:  Nicole Ondraczek

Ave verum corpus  ‒ W.A. Mozart
Laudate Dominum ‒ W.A. Mozart
Transeamus usque Bethlehem ‒ Josef Schnabel
Pueri concinite ‒ Johann R. von Herbeck
Quem Vidistis Pastores ‒Weihnachtsmotette
Anny Good, Sopran | Maria Rust, Alt
Roger Widmer, Tenor | Robert Keist, Bass
Schola Cantorum Maris Stella (Wettingen)
F. Kesselring, Orgel | Kammerorchester
Dir. Oscar Spörri
Bild: Cover EP-Aufnahme vom 7. April 1962